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Interview mit Thees Uhlmann: Ein Gespräch über Ikonen, dunkle Zeiten, Fussball und Rebellion
Interview mit Thees Uhlmann: Ein Gespräch über Ikonen, dunkle Zeiten, Fussball und Rebellion

Thees Uhlmann hat "Fünf jahre nicht gesungen" - jetzt ist er endlich zurück! Zusammen mit seiner Band ist der ehemalige Tomte-Frontmann mit seinem dritten Solo-Album "Junkies und Scientologen" auf Tour. Er spielt am Sonntag, 1. März im Bierhübeli Bern und am Montag 2. März im Dynamo Zürich - vorher hatte er aber noch Zeit für ein Telefoninterview. Von Livia Kozma

Das ist für mich wahrscheinlich so, wie für dich, als dich Campino das erste Mal angerufen hat! (Anm. d. Red.: Thees ist dieses Jahr auch auf Lesetour mit seinem neuen Buch „Die Toten Hosen“ - in Zürich ist er am 21. April im Kosmos)

Inzwischen geht es wenn Campino anruft, aber es war für eine lange Zeit sehr seltsam. Der sagt dann am Telefon auch immer „Thees - wie geht’s dir?“ der meint das dann auch so. Und es hat Jahre gedauert, bis ich mich dran gewöhnt hab’.

 

Bis man merkt, dass der Andere auch nur ein Mensch ist?

Ja genau, ich war zum Beispiel in New York. Und da ist es halt das gleiche, New York kennt man vom Fernsehen, so aus King Kong oder aus den Polizeiserien - das ist dann so dermassen ikonisch. Ich glaub nicht, dass da viele sagen, dass sei nichts Besonderes. Und so verhält sich das mit den Hosen halt auch - es geht um das Menschliche im Ikonischen, oder um das Ikonische im Menschlichen.

 

Ich hab übrigens bei „Alles wird gut“ von den Toten Hosen auch immer „Mein Hausboot hat es mir erzählt und ich weiss dass es nie lügt“ verstanden und nie „Mein Horoskop“

Ha! Ich eben auch, danke!

 

Jetzt aber zu deinem neuen Album „Junkies und Scientologen“ - du gehst mit deiner Musik oft an dunkle und schwere Orte, beschäftigst dich mit Angst, Melancholie, Trauer und dem Alleinsein - warum gehst du dorthin, wo es weh macht und wie kommst du von da wieder zurück?

Also ich finde die Frage schon aussergewöhnlich...  Schon seit ich mit der Kunst angefangen habe, bis mitte 20 oder vielleicht auch ende 30 - war da halt schon ein wahnsinniger Kampf mit den ewigen Fragen: Werde ich davon leben können? Ist es gut genug, dass Menschen Geld dafür ausgeben? Wie findet man die eigene Stimme? Und jetzt weiss ich, wie viele Leute an meine Konzerte kommen und ich hab einfach keinen Bock mehr auf diesen Unsicherheitshoschi zu machen. Und ich finde das ist einfach auch eine Qualität von Kunst, also das Künstler dahin gehen, wo es weh macht. Andere Menschen, die arbeiten halt bei Banken oder Versicherungen oder fahren zur Montage und die haben ja auch nicht die ganze Zeit helle Gedanken. Es ist also Aufgabe von Künstlern neben der Unterhaltung eben auch die dunklen Orte erlebbar und verhandelbar zu machen. Ich hab das künstlerisch auch sehr genossen und ich finde diese Auseinandersetzung wird irgendwie auch unterbewertet. Das Leben ist eben nicht nur Party, auch der reichste Banker der Schweiz, mit seiner 50'000-Franken-Uhr denkt sich wahrscheinlich beim Golfspielen: Ich hab ein riesiges Loch in mir, wo kommt das bitte her und wie fülle ich das jetzt wieder? Ich find das halt seltsam normal.

 

Und dann wird dir beim Schreiben nie zu dunkel?

Nein das geht - ich trink dann halt so viel Kaffee und rauche (leider immer noch) zu viele Zigaretten  und dann geniesse ich das Beobachten und Nachdenken auch. Ich mag diese beiden Facetten, sich auf der einen Seite unaufgehoben im Leben zu fühlen und auf der anderen Seite eine Tochter zu haben, die alles daran setzt mich möglichst lächerlich zu machen.

 

Mit welcher Musikrichtung könnte deine Tochter eigentlich rebellieren?

Boah, Musik ist zur Zeit eigentlich total egal. Sie findet meine Musik blöd und ich find’ das eine ganz gesunde Reaktion. Nichts wär schlimmer, wenn meine 13-jährige Tochter mit dem Ramones T-Shirt rumlaufen würde und so eins auf „Mein Papa macht auch Rockmusik“ machen würde. Das wär ja nahezu ödipal. Aber um deine Frage zu beantworten, Gesichtstattoos und AFD wählen, das würd’ mich wahnsinnig nerven.  Das mit der Rebellion geht aber langsam los, aber ich find das ganz schön. Also ich glaube an gesellschaftlichen Fortschritt (gut politisch geht das grad eher zurück) aber in der Beziehung zu meiner Tochter seh’ ich das schon. In der Beziehung zu meinen Eltern war das anders. Mein Vater hat, aus der Nachkriegszeit, das nie gelernt - also halt einfach mal zu sagen: „Pass auf Diggi, wenn was schief läuft, dann kommst du zu mir - vielleicht schrei ich dann zuerst 40 Minuten rum, aber dann klären wir das zusammen!“ Das ist vielleicht dem Feminismus zu verdanken, dass ich jetzt auch eine quasi mütterliche Rolle einnehmen kann - also auch Kochen und Care-Arbeit und so. Meine Tochter sagt dann auch so: „Boah du bist wie Mutti!“, wenn ich mir Sorgen mache. Ich hab halt mit 20 Zivildienst gemacht mit Behinderten, Kindern und Jugendlichen und da musst du dann Windeln wechseln bei erwachsenen Menschen oder eben auch Monatshygiene bei Frauen machen und ich hab da so viel davon mitgenommen und so viel Männlichkeit daraus gezogen.  Ich mein’, Diggi ist mir egal wie viel Cognac du saufen kannst, oder ob du dich kloppst nach dem Fussball, dass ist dann doch nicht männlicher! Und ich hab dann auch die ersten 10, 15 erfolglosen Jahre immer von dieser Erfahrung profitieren können, halt auch zu wissen, dass auch wenn du kein Geld hast und nur 20 Leute an dein Konzert kommen, hast du trotzdem die wichtigen Dinge gesehen.

 

Um in deinen Worten aus „Fünf Jahre nicht gesungen“ zu verwenden: Wie erklärt man seinem Kind, dass Männer nach Hundertausend Jahren immer noch Affen sind?

Wir wohnen in Kreuzberg, Berlin und ich gebe mir Mühe, den Blick meiner Tochter zu schärfen. Vielleicht ist die Gefahr hier grösser, dass man von Männern blöd angemacht wird. Dass man dann vielleicht eher mal ausweichen muss, als zu schimpfen. Aber ich find das unfassbar frustrierend, wenn man sich mit Freundinnen unterhält und jede hat eine Missbrauchsgeschichte. Ich versteh das auch nicht. Wenn man eine Frau umwerfend findet, dann tanzt man die doch nicht von hinten an - das ist doch peinlich. Und für an den Arsch fassen, solle es sieben Jahre Knast geben, dann peilen die das vielleicht. Aber das ist ja heute Realität in der Disko. Wahrscheinlich ist das 50% Machtdemonstration und 50% unbeholfene Psyche die versucht, sich als „Mann“ zu definieren. Nicht das ich mich da als Frauenversteher hinstellen will. Ich seh’ das von meiner Warte aus, das ist was anderes wenn man das selber erfahren hat. Das Statement „Ich bin Feminist“ von Männern find ich komisch, so wie „Ich bin gegen Homophobie.“ Das hat nichts mit Toleranz zu tun, das ist doch eine logische Konsequenz und sollte normal sein.

 

Wenn dein Leben ein Fussballspiel wäre, wie sähe die aktuelle Spielzusammenfassung aus?

Das wär eine zusammengewürfelte Mannschaft aus Leuten, die nicht so gut Fussball spielen können - nach der ersten Halbzeit liegen sie 3 zu 0 zurück und in der Pause erklärt der Trainer: „Passt mal auf Leute, wir trinken jetzt ein Bier zusammen, vielleicht werden wir untergehen, aber wenn wir untergehen dann machen wir das richtig. Und im kleinen Gang auf dem Weg zum Spiel guckt meine Mannschaft die andere dann so bohrend an dass die alle denken „Was ist mit denen passiert, guck mal wie die schauen! 70minute, 3:2 und jetzt ist Elfmeter für uns...

 

Und bei „Die Welt ist unser Feld“...

Nein dabei geht es um was anderes, bei einem Freund an der Ecke hat es Schausteller, und der Name der Vereinigung „Die Welt ist unser Feld“. Da bei jeder Witterung, irgendwie aus der Zeit gefallen, sie sind fahrendes Folk - mit wunderschönem Motto. Wir sind fahrendes Folk, fahren irgendwo hin, bauen unseren Kram auf und hauen auf den Putz.

 

„The Economist“ kam kürzlich zum Schluss, dass Streaming das Songwriting verändert. Die Intros werden kürzer, mit catchy Hooklines - lässt du dich davon beeinflussen?

Nein. Ich glaub nicht. Meine letzten Versuche eine Single zu schreiben sind auch in die Hose gegangen. Ich glaube wir kommen da aus einer anderen Zeit, und unser Publikum mag, dass wir das nicht machen.

 

Wie sammelst du deine Ideen?

Ganz unromantisch im Emailfenster in meinen Entwürfen, da sammeln sich viele und davon sind dann achtzig Prozent peinlich und zwanzig Prozent weiterarbeiten - etwas fällt einem auf, eine Anfangsidee und wenn der erste Gedanke gut ist, dann entsteht da draus ein Text.

 

Wie hast du die Coversongs ausgewählt?

Wir wollten einfach Songs von deutschen Interpret*innen nachzusingen, denn es gab tolle Songs und wir hatten einfach Bock das zu machen. Wir haben halt mit Hayity angefangen, und dann kamen da noch Almut Klotz, Nena, 2raumwohnung, Sophie Hunger, oder Judith Holofernes dazu.

 

Unter anderem auch Die Braut Haut ins Auge mit „1000 Bier“ und der wunderschönen Zeile „Ich würd mich jeder Zeit wieder in dich verlieben“.  Da schliesst sich der Kreis - denn bei“ Fünf Jahre nicht gesungen“ singst du das auch - Welcher Track war da zu erst?

Das fällt mir das erste Mal auf. Dann hab ich das unbewusst geklaut... Ich hoffe sie verzeiht mir! Aber ist ja ein schönes Gefühl. Wenn’s nicht toxisch ist, ist das auch in Ordnung.

 

Warum sollte man Stephen King lesen?

Ich mag den - der hat nie so auf „Ich bin ein Literat - es gibt ein grosses Buch von mir - beachten Sie, wie ich gut mit Worten umgehen kann“ gemacht. Und er hat einfach über die Dunkelheit der amerikanischen Kultur geschrieben und das mit Geistergeschichten verbunden,  ich finde das einfach toll - da ging es um Freundschaft, Liebe, Erwachsenwerden und Dunkelheit - und man wird trotzdem unterhalten.

 

Was ist schöner - ein ausverkauftes Konzert oder in Führung gehen in der 90ten Minute?

Das kann man doch so nicht sagen! Das mit den Konzerten - wir sind sieben Leute auf der Bühne. Wir haben im Winter 21 Konzerte gespielt, keiner war krank, die Stimme hat gehalten und die Leute haben einfach verstanden, was wir künstlerisch wollten. Das war so schön und befriedigend. Aber St.Pauli ist zweimal Stadtmeister geworden und das werde ich auch nie vergessen. Meine Tochter hat mich zwar gefragt, warum ich mir kein Hobby suchen würde, dass mich glücklich macht und meine Freundin findet es auch verschwendete Lebenszeit. Und das weiss ich ja, aber dann gewinnen sie wieder und dann ist alles gut und darum tun wir uns das an.

 

ARTIST
Thees Uhlmann
 
LOCATIONS
Dynamo, Zürich
Bierhübeli, Bern
Freitag, 28. Februar 2020 | livia